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Kapitel I "Engelskrieger"

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Tagebuchauszug von Noralee (1)

Es tut gut, den abgegriffenen Einband meines Tagebuches in den Händen zu halten und die altbekannten Risse und Macken im Leder mit dem Finger nach zu zeichnen. Es tut gut, seine Gedanken niederzuschreiben und sie dabei zu ordnen. Allerdings fällt es mir dieses Mal wirklich schwer, einen dieser Gedanken überhaupt zu fassen, so wirr geht es in meinem Kopf zu. Wir haben den grünen Turm gefunden. Zumindest glauben wir, dass er es ist. Am westlichen Rand der gigantischen Mauer, die der Eine selbst erschaffen hatte, klaffte ein großes Loch. Hm, stimmt nicht ganz: a) Loch hat etwas mehr als Türgröße, b) „klafft“ nicht, ist vielmehr kaum von außen zu sehen c) liegt in ca. 10m Höhe in der Mauer. Dieses Loch war der Eingang zum grünen Turm. Ohne entdeckt zu werden schafften wir es, uns an den Kirchenleuten vorbei zu schleichen, die ganz in der Nähe ihr Lager aufgeschlagen hatten. Das Gefühl im Inneren der Mauer ließ mich fast erstarren. Ich fühlte meine Magie nicht mehr, fühlte mich leer und schwach. Panik überkam mich. In einem Bollwerk, vom Einen selbst errichtet, war meine Magie verbannt und ausgeschlossen worden. Ich war mir doch immer so sicher gewesen, dass es auch der Eine war, der mir diese Kraft geschenkt hatte. Dass es der Eine war, dem ich dieses unsagbar herrliche Gefühl zu verdanken hatte, das mich durchdrang, wenn ich diese Magie wirkte. Und jetzt? Leere. Bruder Derion konnte ein ungläubiges Stöhnen nicht unterdrücken als er den Turm betrat. Seine Worte liefen mir eiskalt den Rücken herunter. „Ich spüre den Einen nicht mehr. Nie war ich so weit von Ihm entfernt.“ Zum einen machte es mir wahnsinnige Angst, zum anderen war ich ebenso erleichtert. Dann war es nicht der Eine, der meine Kräfte verbannte? Aber wer oder was war es dann?? Wir schlichen durch den Turm nach unten. Insgesamt ging es sieben Etagen tief. Dieses beklemmende Gefühl war kaum auszuhalten. Die letzte Etage endete in einer Folterkammer mit Zellentrakt und uns wurde ein Anblick gewahr, den ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde: Calimar lag zusammengekauert in einer dieser Zellen. Hätte er nicht das Amulett um seinen Hals getragen, hätte ihn selbst seine Mutter nicht wieder erkannt. Sein Körper war ausgemergelt und verstümmelt - Nägel herausgerissen, Zähne ausgeschlagen, Gliedmaßen abgetrennt, Knochen gebrochen. Die Folterer hatten nichts ausgelassen, um ihn zu quälen. Er war mehr tot als lebendig. Und ich konnte nichts tun. Konnte meine Magie nicht nutzen, um ihm die Schmerzen zu nehmen. „Eine Falle“, konnte er nur flüstern, bevor er das Bewusstsein verlor. In der Tat schlug über uns eine Tür zu. Zum Glück hatte Bruder Derion seinen Schock schnell überwunden und half Calimar. Er stabilisierte ihn so gut es in dieser Situation ging. Ohne seine Hilfe hätten wir den Halbtoten wahrscheinlich keinen Meter bewegen können, ohne ihn seiner letzten Kraft zu berauben und ihn so zu töten. Ich weiß nicht ob es Osborn oder Gerald war, einer von ihnen öffnete die Tür. Gemeinsam schafften wir Calimar nach oben und die beiden hielten uns die Wachen vom Leib, die sich uns in den Weg stellten. Zumindest im Kampf scheinen sich die beiden einig zu sein. Obwohl ihre Art zu kämpfen unterschiedlicher nicht sein kann. Ich dagegen fühlte mich immer hilfloser. Als wir an den Eingang kamen, schien die Situation aussichtslos. Die Leiter war fort und unter uns standen knapp zwei dutzend Kirchenmänner mit Pfeil und Bogen, die uns beschossen. Ein Blick in die Etage über uns machte klar: Es gibt keinen anderen Weg nach draußen. Allerdings entdeckten wir dort oben etwas, was ich nie zuvor gesehen hatte: Anscheinend die Quelle der Kraft, die meine Magie verdrängte. Mein erster Impuls war, es zu zerstören. Zum Glück hielt mich Bruder Derion davon ab, voreilig zu handeln. Wir versuchten an den Stein in der Mitte zu gelangen, doch jedes Mal wenn einer von uns mit einem Gegenstand die Flüssigkeit berührte durchfuhr es uns schmerzhaft wie ein Blitz (sehr schöne Formulierung dafür!). Die ganze Konstruktion zu beschreiben, fehlen mir die Worte. Ich zeichne sie lieber auf. Nach einigen Versuchen gaben Derion und ich auf und stiegen wieder zu den anderen hinab. Gerald war mittlerweile unten und kämpfte gegen die Kirchenleute. Osborn sprang mit einer wüsten Beschimpfung mitten unter die Kämpfenden und Derion und ich behinderten uns nur gegenseitig bei dem Versuch, den Beiden bei zu stehen. Es stellte sich schnell heraus, dass unsere Hilfe überhaupt nicht nötig war. Die wenigen Kirchenleute die noch standen, ergriffen schnell die Flucht. Ein letzter Schlag traf Gerald am Hinterkopf und streckte ihn zu Boden. Wie aufs Stichwort erschien Felix mit unseren Pferden und so schnell es Calimars Zustand zuließ, flohen wir von diesem furchtbaren Ort. Ich fühlte, wie meine Magie zurückkehrte und mich erfüllte. Endlich war ich wieder ich selbst. Nach einer halben Stunde hielt ich es nicht mehr aus. Ich stieg vom Pferd und versuchte, Calimar zu heilen. Wahrscheinlich war ich viel zu aufgewühlt von den letzten Ereignissen. Anstatt ihm zu helfen, fügte meine Magie ihm und mir erhebliche Schmerzen zu. Haltlos fing ich an zu weinen. Wie sehr wünschte ich in diesem Moment den Zuspruch meiner Mitreisenden herbei. Wünschte, einer von ihnen würde mir die Hand auf die Schulter legen und mich ermutigen, es noch einmal zu versuchen. Mich erinnern, dass ich es kann. Ein blauäugiger Wunsch. Ich gebe es zu. Wie sollten sie wissen, wozu meine Magie in der Lage ist? Und wenn sie es wüssten, würde es sie erschrecken. Ich muss dankbar sein, dass sie überhaupt mit mir reisen und mich nicht auf den nächsten Scheiterhaufen stellen. Osborn stellte die Frage, ob es vielleicht nicht sein solle, dass ich Calimar helfen kann. Er erstaunt mich immer wieder. Ja, vielleicht sollte es nicht sein. Vielleicht hat jemand etwas dagegen, dass ich Calimar helfe. Aber wer? Der Eine? Oder das Böse, das mir für kurze Zeit meine Kräfte nahm? Ersteres wollte ich nicht glauben und ich wollte Calimar helfen. Ich konzentrierte mich erneut und blendete die Gespräche meiner Weggefährten aus. Und diesmal klappte es. Es reichte nicht, um alle seine Wunden zu schließen, aber einige Knochen richteten sich unter meinen Händen und er konnte wieder freier atmen. Erst später fiel Bruder Derion auf, dass ein Stück von Calimars fehlenden Fingern nachgewachsen war. Bruder Derions Reaktion hätte ich nicht erwartet. Eine Welle von Unglaube, Entrüstung und Neid ging von ihm aus und stellte sein gesamtes Weltbild auf den Kopf. Nichts sei endgültig. Wie Recht er hatte. Es kam nur darauf an, welchen Preis man bereit war zu zahlen. Es war nicht meine Absicht, Calimars Gliedmaße wieder herzustellen. Ich hatte meine Kräfte auf das Innere seines Körpers gerichtet. Dorthin, wo die lebenswichtigen Organe saßen, die verletzt waren. Nicht auf seine Finger. Und doch heilten sie. Ich erwähnte die Möglichkeit, dass sich Calimar unbewusst selbst heilte, konnte es mir aber selbst kaum vorstellen. Es ist normalerweise nicht meine Art, eine gewisse Grenze zu überschreiten. Tat ich es? Und wenn ja, warum? Vielleicht wollte ich mir unbewusst zeigen, dass ich nicht so hilflos bin, wie ich mich in dem Turm gefühlt habe. Die Verlockung der Macht ist immer da und immer groß. Auch ich kann mich nicht davon freisprechen. Osborn konnte Derion und Felix nicht verstehen, die beide erklärten, dass man Grenzen zu achten hatte. Für ihn ist Magie offensichtlich unberechenbar und unheimlich, aber er scheint in Allem nach seinem Vorteil zu suchen. Da schloss er auch die Magie nicht aus. Nach und nach bekam ich mit, dass Gerald durch den Schlag auf den Kopf wohl sein Gedächtnis verloren hatte. Ich wollte ihm unsere Geschichte erzählen, aber er bestand darauf, dass wir uns schlafen legten. Er hatte Recht. Wir waren alle übermüdet und verwirrt. Mit der Gewissheit, dass Gerald in meiner Nähe war und über mich wachte, schlief ich sofort ein. Am nächsten Morgen erzählten wir ihm was bisher geschehen war. Unser Bericht klang wie die phantasievolle Geschichte eines Märchenerzählers: 5 Engel, die den Auftrag des Einen erfüllen wollten, den „vermeintlichen“ Priester von Achtelsbach enthaupteten und anschließend die Kirche in Brand setzten. Gleichzeitig rettete die Engelin Ravinell den Hexer Anton, auch genannt der Schlächter oder der Schwarze, vor dem Scheiterhaufen. Ravinell, die mit zwei großen Wunden am Rücken sterbend im Heiligen Baum hing und Gerald als Bruder ansah. Erzbischof Lazarus, der die Klinge Ravinells als Beweis oder Gegenbeweis haben wollte. Und schließlich die Flucht aus Winterfell und die Reise zum grünen Turm. Nach und Nach erinnerte sich Gerald. Er konnte sich auch an Kindertage erinnern und erzählte uns von der Beichte seines Ziehvaters am Sterbebett. Warum suchten vor 20 Jahren Kirchenleute nach Kindern, die einmal groß werden, blond sind und blaue Augen haben? Warum brannten Kirchenleute den Hof von Gerald nieder? Sollte der Priester von Achtelsbach deshalb sterben, weil er den vermeintlichen Verrat begangen hatte oder weil er Zeuge der Geschichte ist? Was wollte Calimar im grünen Turm? Was ist im grünen Turm? Was wurde aus Meister Lorenz nach unserer Flucht? Und als hätten wir der Fragen nicht schon genug: Warum zieht ein Trupp Inquisitoren hierher zur Mauer; mit Beckerich in einem Gitterwagen? Wir müssen ihn retten. Wenn sie ihn zum Reden bringen, gibt es keine Ausreden mehr für uns. Er kann die Verbindung zwischen uns, Meister Lorenz und den toten Kirchenleuten beim grünen Turm knüpfen. Er kann Aussagen, dass sowohl Meister Lorenz als auch Felix, Calimar und meine Wenigkeit Zauberer sind. Osborn, in seiner verflucht ruhigen und nach eigenen Vorteilen suchenden Art, sagte ganz trocken, wir sollten uns überlegen, was wir bereit wären für Opfer zu bringen, um Stillschweigen zu sichern. Ich will nicht darüber nachdenken. Ich will Beckerich da rausholen und ich will nach Hause in meine Schreibstube. Wir müssen uns beeilen und beobachten was weiter geschieht. Wenn ich auf Calimars Wunden schaue, gruselt es mich auch nur in die Nähe der Inquisitorin zu gehen. Dasselbe würden sie ohne zu zögern mir antun. (Nur zur Relation: Anton hatte KEINERLEI Anzeichen der Folter! Und Du weißt, dass er ein Zauberer war und dass er – so laut Derion – nicht reuig und geständig war. Die Sorgen darum darfst Du aber gern beibehalten. *g*)/ ===== Tagebuchauszug von Gerald Fletcher (2) ===== Oh Mann, meine Kopfschmerzen bringen mich noch um. Seit meiner Begegnung mit einem Schild vor ein paar Tagen, tauchen diese immer wieder sporadisch auf. Zum Glück habe ich jetzt ein paar Minuten Ruhe, um meine Gedanken zu sammeln. Was war gleich noch passiert? Ach ja. Nach einer Nacht voller Flashbacks und Alpträume gab uns Felix bescheid, das er einen Track auf der Strasse entdeckt hatte. Es waren Kirchenkrieger, angeführt von einem Hauptmann und einer Großinquisitorin. Sie hatten einen Käfigwagen dabei und darin befand sich Beckerich. Sofort brach eine Diskussion aus, wie und warum sie ihn geschnappt haben und ob er etwas verraten hatte. Eigentlich sinnlos, darüber zu spekulieren, weil, wenn er was gesagt hatte, es sowieso zu spät war. Aber der fromme Mönch liebt ja halt das Reden und Noralee ist halt auch nicht anders. Osborn dagegen ist schon eher ein Mann der Tat, so wie ich. Schon bewundernswert, wie er sich in das Lager begab, um, mit einer gestohlenen Uniform, soviel wie möglich auszukundschaften. Obwohl ich anhand einiger Erinnerungen wohl nicht immer gut mit ihm auskam. Mal abwarten, wie es sich weiter entwickelt. Nach dem alle ihre Meinung kundgetan hatten, einigte man sich auf folgenden Plan. Noralee sollte im Lager einige Zelte durch ihre Magie entzünden, während Osborn und ich versuchen würden, Beckerich zu befreien. Derion war für den geistigen Beistand verantwortlich. Felix sollte bei Calimar bleiben. Calimar ist schon ungewöhnlich. So, wie er aussah, als wir ihn aus dem Turm geholt hatten, gab ich ihm kaum eine Chance. Nachdem Noralee ihre Kräfte an ihm eingesetzt hatte, fing er an, sich zu regenerieren. Bruder Derion sah dieses mit voller Abneigung. Für ihn brachen in letzter Zeit wohl mehrere Welten zusammen, angefangen mit meiner Vergangenheit. Zudem hatte Calimar in einem Moment der Klarheit Noralee und Bruder Derion gebeten, ihn wieder rein zu bringen. Noralee und Derion interpretierten diese Aussage, nach einiger Zeit der Beratung, so, als dass er wieder in den grünen Turm will. Weiß das Böse allein warum, aber Noralee und Bruder Derion scheinen es im Ernst versuchen zu wollen (freue mich schon auf Osborn sein dummes Gesicht, wenn er das hört). Aber erst mal zurück zum Plan. Für das Gelingen musste mir Osborn eine Uniform besorgen, möglichst eine Unteroffiziersuniform. Feuer kann verheerend sein. Das habe ich auch ich mal irgendwann erfahren müssen, kann mich nur nicht mehr richtig erinnern. Es war irgendwo auf der anderen Seite des Meeres, während der Schlacht von… Ich schweife ab. Also, Osborn tauchte wenig später wieder auf. Er hatte mir eine Feldwebeluniform besorgt. Sie passte einigermaßen, vielleicht etwas zu weit an der Hüfte. Die militärischen Ausdrücke und Gebärden sind in jeder Armee gleich, also brauchte ich mir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Als es dunkel wurde, machten wir uns auf den Weg. Calimar blieb mit Felix zurück. Nach einiger Zeit erreichten wir einen guten Platz. In der Ferne konnten wir die Lagerfeuer erkennen. Es waren gut und gerne 400 Mann da unten. Noralee würde sich bereit machen und mit ihrem Feuerzauber ca. in einer Stunde anfangen. Sie wollte die Versorgungszelte anzünden. Osborn und ich waren ja eher für Mannschaftszelte oder die „Stallungen“, aber dieses wurde von Noralee und (wen wundert es?) Bruder Derion absolut abgelehnt. Man wollte das Blutvergießen auf ein Minimum beschränken. Da eine Diskussion sowieso kein Sinn hatte, wenn sich Noralee etwas in ihrem hübschen Kopf gesetzt (Moment mal, habe ich das gerade wirklich gedacht?) hatte, machten Osborn und ich uns auf dem Weg ins Lager. Wir ließen die Pferde etwas abseits vom Lager stehen und gingen zu Fuß weiter. Einige der Wachen kannten Osborn bereits. Als sie mich sahen, salutierten sie kurz und machten weiter ihre Arbeit. Im Lager war man mittlerweile dazu übergegangen, sich auf die Feldbetten zu hauen. Das war jetzt der perfekte Zeitpunkt, um etwas Verwirrung zu schaffen. Wie auf ein Stichwort schoss plötzlich eine unglaublich große Feuersäule aus einem der Lagerfeuer. Die Flamme war mindestens zwanzig Meter hoch und peitschte, wie von Sinnen, umher. Die Verblüffung in den Gesichtern der Soldaten und das dann ausbrechende Chaos waren unbeschreiblich. Bei diesem Spektakel fing dann das erste Vorratszelt Feuer. Osborn machte sich sofort auf zu der Hütte, wo Beckerich einsaß. Ich konnte mich auf ihn ab jetzt nicht mehr konzentrieren, da jetzt mein großer Auftritt kam. Hatte ganz vergessen, wie viel Spaß es macht, Untergebene durch die Gegend zu scheuchen, besonders, wenn sie nicht zur eigenen Armee gehören. Ich fing an laut rumzubrüllen, jedem Soldaten einen entgegengesetzten Befehl zu geben und soviel Verwirrung und Desorganisation zu schaffen, wie möglich. Machte meine Sache, glaube ich, sehr gut, besonders als die zweite Feuersäule gen Himmel schoss, das zweite Zelt anfing zu brennen und ich noch mehr Soldaten in das Chaos kommandierte. Wenn das meine Armee gewesen wäre, hätte ich angefangen, vor Scham zu weinen. Egal, es lief perfekt, besonders der Soldat, der zwei seiner Kammerden vor lauter Verwirrung umgehauen hatte, wird die Nacht nicht so schnell vergessen. Nach meiner Standpauke wird er wohl Morgen verzweifelt nach mir suchen, um seine Strafe anzutreten. Armer Kerl. Wie viel schlimmer wird es wohl für ihn sein, wenn er merkt, das er von einem falschen Feldwebel an der Nase herumgeführt wurde? Aus meinen Augenwinkel konnte ich erkennen, dass die Tür zu der Hütte offen stand. Wollte gerade einen Offizier suchen, der mich ablösen sollte, als plötzlich die Nacht zum Tage wurde. Hinter mir stand die Großinquisitorin, mit ihrem goldenen Streitkolben, welcher das Licht der Flammen über das halbe Lager verbreitete. Mit einer strengen und ehrfurchtgebietenden Stimme, fragte sie, was ich da mache. Ich versuchte militärisch korrekt zu antworten, wurde aber sofort von ihr unterbrochen. Ich solle mich gefälligst zum anderen Feuer begeben und dort mit anpacken. Ich überlegte kurz, ihr eine „nette“ Antwort zu geben, entschied mich aber dagegen. Sich mit ihr im eigenen Lager anzulegen hätte der Sache nicht gedient. Also salutierte ich und verschwand in Richtung Feuer. Ich konnte ihren Blick noch eine ganze Zeit in meinem Nacken spüren. Als ich dann außer Sicht war, bog ich um ein paar Zelte, schnauzte noch ein paar Soldaten an und verzog mich aus dem Lager. Ich kam dann einige Zeit später bei unserem Treffpunkt an. Derion war, wie immer, erschrocken, Osborn angespannt. Ich gab mich zu erkennen. Beckerich sah wie ein Häufchen Elend aus und war nur am Wimmern. Noralee war irgendwie merkwürdig. Sie hielt ziemlich Abstand zu Derion und sah ihn auch nur an, wenn sie keine andere Wahl hatte. Komisch. Osborn hatte natürlich nicht mein Pferd mitgenommen, also musste ich es schnell holen. Wir ritten so schnell wir konnten zurück zum Lager, wo wir Beckerich erst mal befragten. Er gab an, nichts erzählt zu haben, auch als ich etwas ernster wurde. Bruder Derion stoppte mich aber erneut und so fing ich an, meine Waffen zu schärfen. Auf die Dauer nervte uns allen Beckerichs Gejammer, auch wenn es nicht alle zu geben wollten. Jetzt sitzen wir hier und wollen allen ernstes zurück in den Turm. Was ist nur so wichtig an dem Gemäuer? Hat es auch mit meiner Vergangenheit zu tun? Ob Osborn das gefallen wird? Und wie werde ich die verfluchten Kopfschmerzen los? ===== Tagebuchauszug von Bruder Derion (3) ===== Schweig still, du bebendes Herz. In meinen Träumen rasen Bilder an meinem inneren Auge vorbei, ein Pandämonium von… was? Landschaften? Personen? Es ist zu schnell, als dass ich klar zu sehen vermöchte, als ob ich die Welt durch die Augen eines Träumenden oder gerade Erwachenden sähe. Es ist, als ob der Eine zu beschäftigt wäre, seinen Willen nicht bündeln würde, abgelenkt sei. Es ist wie die Fieberträume mancher Kranker… Warum nur träume ich nicht von der Ahnung zerstörerischer Willkür, die mich seit heute Nacht plagt? Was ist, wenn die Schriften – und damit die Lehren der Kirche – Lügen sind, Falschheiten, schreckliche Irrtümer? Wenn wir allein und schutzlos sind in dieser finsteren Welt? Was ist, wenn… Schweig endlich still, du bebendes Herz. Es ist schon Nachmittag, als wir nach Beckerichs Befreiung wieder erwachen. Kalimars Hand ist fast wieder vollständig, noch etwas, das eigentlich nicht sein darf. Wenn mir eine solche Macht zuteil geworden wäre: Könnte ich der Versuchung widerstehen, diese Macht für meine Zwecke zu nutzen und auch die zu retten, deren Zeit eigentlich abgelaufen ist? Würde ich mir letztlich nicht doch anmaßen, meinen Willen an die Stelle Seines Willens zu stellen? Kalimar kann – entsprechend seinem Zustand – kaum sprechen, aber dies kümmert den Hexer nicht, er löst kurzerhand seinen Geist von seiner sicherlich schmerzenden Hülle. Flüsternd drängt er uns, noch einmal in den grünen Turm zu gehen, in das Schweigen des Herzens, um Hinweise zu finden auf Tha’Anuiel. Er redet davon, dass vor zwei Monaten die Engel Sanguinel, Jamiriel, Hinrich, Rhianon und Viviaine im Süden einen Priester getötet hätten. Er redet davon, dass er wissen will, ob sie wirklich Engel seien. Aber zurück in jenes Verlies? Noralee sagt, dass es wohl nicht Magie sei, die dort wirkt, sondern etwas anderes. Wenn Magie weiß sei, soll das im Turm schwarz sein. Wie kann das sein, wenn doch der Eine mir dort fern ist? Alsdann zeigt Gerald Kalimar das Schwert, wir erzählen von Ravinell und ihrem Ende, ich erzähle von meinen Träumen. Nur Osborne hält sich mit einem finsteren Gesicht abseits, meint, dass ihn das alles nicht angehe… Ich suche Ruhe und versenke mich in Gebete. Doch dort, wo mir sonst Trost und Geborgenheit zuteil wird, warten nur wieder die Bilder meiner Träume, nur dass ich nun weis, dass sie keine Träume mehr sind. Dass ich keine Zuflucht mehr habe, keine Geborgenheit… Nur langsam werde ich gewahr, dass Noralee mich festhält und mich tröstet. Kaum merken wir, was gerade geschieht, als wir wohl beide erschrecken und auseinander fahren. Und dann scheint Noralee geradewegs in meine Gedanken zu blicken, als sie fragt, ob es sein könne, dass der Eine überwunden wurde und gar gefangen sei. Ob es sein könne, dass der Schläfer erwacht sei. Genug der Fragen, es wird Zeit, dass wir Antworten finden. Und wenn die Antworten in jenem Turm liegen, werde ich… werden wir dort hingehen. Stumm danke ich dem Einen für die Anwesenheit meiner Gefährten. Zumal Osborne zunächst unwillig war, uns zu begleiten, sich dann aber doch dazu bereiterklärte, unter der Bedingung, dass wir den Ort sofort verlassen, falls er dies für notwendig erachtet. Und selbst als wir alle nacheinander diese Bedingung für untragbar erachten, stimmt er doch zu, uns dorthin zu führen. Osborne hatte inzwischen jenen Ort am Wall ausgekundschaftet und berichtet von 12 Wachen. Entschlossen brechen wir auf und ich muss sagen, dass es mich schon fast beruhigt, dass Felix anscheinend nur dann seine Magie wirken kann, wenn er sich und seine Gegenstände sieht. Es ist gut, zu wissen, dass diese Magie anscheinend doch begrenzt ist, dass das Gesetz des Einen noch etwas gilt. Es ist hingegen wenig beruhigend, dass Felix Stück für Stück zu verschwinden scheint. Als wir am Grünen Turm ankommen, ist nur noch ein kleines Stück seines Gesichts überhaupt zu sehen. Am Lager der Soldaten soll Noralee sie in zauberischen Schlaf versenken, doch wieder geht etwas fehl. Als vor den Soldaten helle Lichter aufblitzen, wird mir wieder bewusst, dass der Eine die seinen schützt und was wir hier eigentlich versuchen. Panikerfüllt hasten wir beide davon, doch wenig später besinnen wir uns auf die Aufgabe, die vor uns liegt und kehren reuig zu den Hütten zurück. Als wir dort ankommen, haben Osborne und Gerald die meisten Wachen bereits getötet. Nur der Hauptmann der Wache lebt, ist aber auf den Tod verletzt, so dass mir nichts anderes bleibt, als ihm die Schmerzen zu nehmen und ihn mit den letzten Weihen zu versehen. Ich nehme seinen Anhänger an mich, später stellt sich heraus, das Osborne zwei weitere davon hat. Und in einer der Hütten weilen drei weitere Versehrte unseres letzten Aufenthalts, von denen einer seine Bauchwunde nicht überleben wird. Die beiden anderen kann ich wenigstens verbinden und sie in heilsamen Schlaf versetzen. Wie gut es tut, zu Abwechslung wieder jemandem einfach nur zu helfen. Als wir anschließend wieder in den Turm eindringen, ist es wieder, als ob der Eine hier fern wäre. Oder bin ich hier fern von ihm, auf feindlichem Land? Im fünften Stockwerk vom Eingang aus gezählt findet Osborne in einem Raum auf der Nordseite des Turms an dessen rückwärtigen Wand ein Relief, dessen Thema der Krieg der Menschen und Engel gegen Dämonen und Barbaren ist. Auf einem Hügel stehen ein Mann und eine Frau oder vielleicht auch Engel, deren erhobenen echten Arme ineinander verschränkt sind und die ein Licht über das Schlachtfeld aussenden. In diesem Relief findet sich ein Loch, in das einer der Anhänger passt. Hierauf ertönt ein Klacken und wir entdecken, dass die gesamte Wand gedreht werden kann. Tatsächlich ist dahinter ein weiterer Raum, an dessen Rückseite eine Tür den Durchgang zu einer Wendeltreppe jenseits dem flackernden Schein unserer Fackeln tief hinab in die Erde verbirgt, tiefer als selbst Kalimars Kerker liegt. Nur zögerlich trete ich den Weg hinab an. Unten betreten wir durch eine weitere Tür einen kreisrunden Raum, für den man wohl an die 60 Schritt braucht, um ihn zu durchmessen. Diese gewaltige Halle ist in ein grünliches Licht getaucht ist, dass mich an den Ort in der Spitze des Turm gemahnt. An der Nord-, Süd- und Westseite des Raumes befinden sich große Portale, von denen unter dem Boden so etwas wie Rohre oder Stangen zu einer großen Säule verlaufen (oder vielleicht von ihr weg?), die sich in der Mitte des Raumes erhebt und vielleicht bis zur Spitze des Turmes reicht. Zwischen der Säule und der Nord- bzw. Südtür, ragen jeweils mittig zwei weitere Säulen auf, durch die nördliche sind wir hier unten angelangt. Doch unsere Blicke richten sich auf die Quelle des grünen Lichts am Fuß der mittleren Säule. Dort steht, mit der Säule verbunden und in sie übergehend, ein großer Steinblock, der mich allein schon wegen des oben auf ihm angebrachten Reliefs eines liegenden Mannes an einen Sarkophag, ein Denkmal oder eine Ruhestätte gemahnt. Wieder schießt mir Noralees Frage und damit der Gedanke an den Schläfer und damit an einen der größeren Widersacher des Einen in den Sinn. Während ich noch sinniere, untersucht – sogar unter Zuhilfenahme einer von ihm merkwürdigerweise mitgeführten Brechstange - zunächst Osborne den Sarkophag, wohl um ihn zu öffnen. Da er ein seltsames, beruhigendes und wohl deswegen auch gleich beunruhigendes Gefühl verspürt, zieht er sodann zuerst Noralee und dann Gerald hinzu. Beide bestätigen es: Die Berührung entspannt und beruhigt sie. Dann ist es an mir, den Sarkophag zu berühren und sofort durchbrandet mich ein alles überwältigendes Gefühl der Gegenwart des Einen und ich weiß: So, wie es ist, ist es gut… Diesmal sind die Tränen, die meine Wangen herabfließen, solche der Geborgenheit und der Erlösung. Sodann wenden wir uns dem Portal im Norden zu, das Noralee mit dem Kristall aufschließt. Dahinter erstreckt sich ein dunkler Gang, etwa zweieinhalb Schritt hoch, in Richtung Norden, den wir nun betreten werden, um die Geheimnisse des Grünen Turms zu enträtseln. ===== Tagebuchauszug von Noralee (4) ===== Ich stand noch in der Tür des Nordtores und wusste nicht so recht ob ich dort überhaupt hinein wollte, als Osborn geschäftig an mir vorbei eilte und die Innenseite des Tors sowie den großen Sperrbalken untersuchte. Fletcher folgte ihm und sah sich die Nische in Gang genauer an. Als dann noch Bruder Derion fasziniert die eingearbeiteten „Kacheln“ betrachtete die die Geschichte des einen und seiner Engel darstellte, stand ich immer noch im Torrahmen. Osborn konnte nicht herausfinden aus welchen Material der Sperrbalken gearbeitet war, Fest stand, es war sehr hartes, stabiles Material mit einer Art Holzmaserung. Wütend und ungeduldig merkte er an, man solle wieder nach oben gehen oder zumindest das Südtor untersuchen. Fletcher begann inzwischen die vier Lampen, die in der Nische bereitstanden mit Lampenöl zu füllen, von dem es hier Unmengen gab, als wäre er hier zu Hause und Bruder Derion wanderte wie ein Museumsbesucher den 4m breiten und 3m Hohen Gang entlang um sich die nächste „Kachel“ anzusehen. Unheimlich wie er da in die Dunkelheit hinein ging. War ihnen allen denn nicht klar was wir hier gerade taten? Ich versuchte ihn aufzuhalten. „Wartet, können wir uns bitte darauf einigen, dass wir hier zusammen bleiben?“ Im selben Moment marschierte Osborn auf das Südtor zu und verschwand in den Gang dahinter. Ich hätte heulen können. Nach einigem hin und her marschierten Fletcher und Bruder Derion nach oben um Vorräte aus den Speisekammern zu holen. Osborn erschien kurz, schnappte sich eine Hacke und wandte sich wieder Richtung Südgang. “Was gefunden?“ fragte ich. „Noch nicht.“ antwortete er und war wieder weg. Danke für das Gespräch. Ich wartete in dem Raum mit dem Sarkophag und genoss das Gefühl das von ihm ausging: „Alles ist gut Noralee.“ Was fanden wir heraus? Der Südgang war lange nicht benutzt worden, Das Tor ließ sich von beiden Seiten versperren, Schaufeln und Hacken standen im Eingangsbereich und immer wieder fand man auf dem Boden Steinbrocken in verschiedenen Größen. Die „Kacheln“ befanden sich an der Ostwand im Abstand von 6 Schritt. Nach ca. 10 Min. Weg war der Gang verschüttet. Das Osttor ließ sich von beiden Seiten verschließen, von Innen war der Balken vorgelegt daher ließ sich das Tor nicht öffnen. Was nicht schlimm war, denn „Alles ist gut wie es ist.“ Der Nordgang war kürzlich benutzt worden. In der Nische gab es Lampenöl, Lampen und ein Rucksack der für lange Wanderungen geeignet war. Die Kacheln befanden sich auch hier in 6 Schritt Abstand an der Ostwand. Wir fanden auf unterschiedlichster Art heraus, dass es nicht möglich war hier unten zu schreien oder sich aufzuregen. Es schien so als gäbe es eine Art Dämpfer oder Puffer der das unterdrückte. Leider hielt es Osborn nicht davon ab, alle Überlegungen die wir anstellten oder Bemerkungen die wir machten mit sarkastischen und zynischen Äußerungen zu unterlegen. Ich entschloss mich, den Mund zu halten. Ich wollte nicht streiten, wollte mich nicht reizen lassen. Ich wollte nur so schnell wie möglich hier wieder weg. Weg von dem Ort wo ich nur zu Hälfte war. Wir stellten uns auf eine Lange Reise ein und wir sollten uns nicht irren. Nach vier Stunden Wanderung kamen wir zu einer Nische. Es gab Sitzgelegenheiten, eine Feuerstelle, eine Wasserquelle und sogar ein Klo. Man war also auf Wanderer eingestellt. Osborn bemerkte nicht zu unrecht, dass es wohl geplant war dass hier viel Betriebsamkeit herrschte und man Nischen baute um sich nicht gegenseitig zu behindern. Wir ruhten kurz aus und wanderten dann weiter. Nach weiteren vier Stunden erreichten wir wieder eine Nische. Diese war noch etwas größer als die vorherige und an die Decke hatte jemand einen Sternenhimmel gemalt. Es war eine unruhige Nacht. Bruder Derion plagten Alpträume. Oder Visionen? Ereignislose Tage folgten, zumindest schaffen wir es uns nicht zu streiten. Ich fühlte mich leer. Auch nach all den Tagen konnte ich mich nicht daran gewöhnen ohne Magie zu sein. Ich war froh, das ich mich damit ablenken konnte mit Bruder Derion über die Bedeutung der Kache-Geschichten zu rätseln. Es ist erstaunlich über welches Fachwissen er verfügt. Trotzdem zeigten die Kacheln immer öfters Geschichten, die selbst Bruder Derion nicht kannte. Mit der Zeit verloren gegangene Geschichten oder solche die man bewusst verschwiegen hatte? Eine der unbekannten Geschichten endete damit, dass ein Mann/der Eine??? einen Toten Vom Totenlager auferstehen lässt und zum leben erweckt. Ich erschrak ebenso wie Bruder Derion, jedoch aus völlig anderen Gründen. Ich bin 13 Jahre alt und stehe nachts allein am Totenbett meines dreijährigen Bruders. Ich halte seine kleinen mageren Hände in den meinen und ich zittere vor Anstrengung. Seit Stunden versuche ich ihn lebendig zu machen. Ihm leben einzuzaubern. Gleich schaffe ich es, ich bin so nah dran… als ich von Arin gepackt werde, der mich mit einem ersticktem „Nein“ zurückzieht. Ich schlage um mich und will mich frei machen, aber Arin hält mich fest bis ich nur noch schluchzend in seinem Arm liege. „Warum Arin? Warum darf ich das nicht tun?“ Als er Antwortet vermischt sich seine Stimme mit der von Bruder Derion der Osborn erklärt warum ihn dieses Bild so erschreckt. „Weil es nicht sein darf.“ Ich brach in Tränen aus und lief ein Stück den Gang entlang. Zu meinem erstaunen kam Fletcher hinter mir her und legte mir tröstend den Arm um die Schulter. Dankbar lehnte ich mich gegen ihn. Noch erstaunter war ich als er mich fragte was denn los sei. Ich erzählte ihm von Josha. Bruder Derion kam hinzu und erkundigte sich fast entschuldigend ob er etwas Falsches gesagt hätte und als Gerald mich aufforderte es ihm zu erklären damit er mich verstand war ich völlig perplex. Hätte ich gewusst das man diesem großen, starken Kerl nur feste auf den Kopf hauen muss um ihn nett und einfühlsam zu machen hätte ich schon längst mal zu geschlagen. Das hätte weite Teile unserer Reise wesentlich angenehmer gemacht. Ich erzählte von Josha, davon dass ich ihm nicht helfen durfte obwohl ich sicher war es zu können. Sieben Jahre ist es her aber die Erinnerung schmerzte immer noch. Gerald und Bruder Derion bemerkten die Situation zu kennen. Und mir wird klar: Ich weiß eigentlich nichts über meine Reisegefährten. Sicher hatten sie ihre ganz eigenen Schicksalsschläge hinter sich. Selbst Osborn bemerkte dass alles hier vielleicht nur Lug und Trug ist und das überhaupt nicht sicher ist wer das alles hier errichtet hat. Ob nun von Osborn gewollt oder nicht: die Bemerkung brachte mich dazu, dass es also auch nicht klar ist, ob der Eine damit einverstanden gewesen wäre Tote zu erwecken. Ich fühlte mich etwas besser und nach einer weiteren Stunde Marsch lagerten wir wieder. 6 Tage waren wir schon hier unten und ca. 200 km hatten wir nun zurückgelegt. Am nächsten Tag mussten wir uns entscheiden ob wir weiter gehen wollten. Unsere Vorräte neigten sich dem Ende zu. Traum?: Wir stehen alle in der Dunkelheit und schauen auf eine Blase in der ein großes Portal zu sehen ist. Davor stehen die drei Engel Rhianon, Julienne und Loysanne. Unter der Portaltüre wabert farbiger Dunst/Nebel züngelnd und tastend nach draußen. Ein großer Ring liegt wie ein Siegel über beide Türflügel und von hinter der Türe ist lautes Atmen und Seufzen zu hören, das mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Die ganze Blase pulsiert, wird größer und wieder kleiner. Nähert und entfernt sich wieder. Von irgendwoher ertönt eine Stimme die uns allen Bekannt ist, die wir jedoch nicht zuordnen können. „Ja, nehmt sie heraus.“ Sagt sie mit nasalem, arrogantem Tonfall. Eine Stimme die es gewohnt ist, das man ihr gehorcht. (Erzbischof Lazarus?) Eifrig ziehen die Engel ihre Waffen und beginnen das Siegel zu entfernen. Dabei fügt das Siegel ihnen Wunden an den Händen zu. Das darf nicht sein. Was immer hinter der Türe ist, muss da bleiben. Wir versuchen zu rufen und auf die Engel zuzugehen. Es geht kaum. Einer der Engel scheint uns wahrzunehmen. Aber wirklich sehen kann er uns nicht. Osborn wirft einen Dolch und nagelt einen der Engel mit der Hand an das Portal. Unbeeindruckt reißt dieser weiter an dem Siegel. Gerald versucht die Blase zu zerschlagen, ergebnislos. Dann bricht das Siegel aus dem Portal. Es ist eine riesige Krone die in den Händen der Engel normale Größe annimmt. Das Atmen verstummt. Stille. Dann bricht das Chaos über uns herein. Das Portal fliegt auf, die Engel werden zur Seite geschleudert, und der Druck scheint unsere Lungen zu zerreißen. Eine gewaltige Welle von Zauberkraft/Göttlicher Präsenz durchflutet uns, reißt uns mit und dringt in uns ein. Bruder Derion meint noch die Gestalt eines Erzbischofs zu sehen. Dann nimmt er wahr wie die Gestalt aus seiner Vision die Augen öffnet und Schwärze sieht. Wir erwachen. Ich in meine Decken verheddert. Bruder Derion auf allen vieren im Gang. Gerald hat mit der Engelsklinge eine lange Kerbe ins Gestein geschlagen und Osborns Wurfmesser steckt tief im Fels. Als wäre das alles nicht schon genug bin ich von Magie durchdrungen, spüre sie um mich herum, auf meiner Haut. Bruder Derion weiß, das der Eine bei uns ist. Es war auch wieder möglich zu schreien und man konnte sich herrlich aufregen. Was war da geschehen? Ich beobachtete wie Osborn an seinem Dolch rum ruckelte um ihn aus dem Fels zu ziehen. Dabei sah er mich kurz an. Völlig irritiert und hilflos. Fast nett. Wir stellten die wirrsten Vermutungen an, kamen aber zu keinem Ergebnis. Nachdem sich das Problem unserer Vorräte geklärt hatte, es ist weniger schwierig sich Nahrung zu zaubern als selber zu kochen, entschlossen wir uns weiterzugehen. Irgendwie schien uns dieser Traum näher gebracht zu haben. Osborn mäckelte nicht mehr an uns rum und als ihm die Frage stellte ob er Calimar kenne, wand er sich zwar um eine Antwort herum wirkte jedoch nicht so ablehnend wie sonst. Sondern ich hatte eher das Gefühl er erzählt aus Gewohnheit nicht was er weiß. Bruder Derion nahm von meinem zauberhaften Braten, was ich ihm sehr hoch anrechne und Gerald sagte er folge mir überall hin. Und dieses Mal klang es nicht so als wäre ich für ihn ein Last die man ihm aufgebürdet hatte. Nach weiteren vier Tagen und nun insgesamt 350 km stehen wir vor einem Portal, das dem gleicht das wir durchschritten als wir unsere Reise vor 10 Tagen begannen. Überlegungen: Warum tun die Engel das was sie tun? Es sind keine Engel Abtrünnige Engel Lassen sich täuschen Wer hat die Macht Engel zu täuschen? Hatten wir nur einen Traum oder ist das was wir sahen wirklich so geschehen oder geschieht es noch? Vision? War der Traum nur Sinnbild für andere Ereignisse? Politik? Ist die Abschirmung der Mauer/neutrale Zone weg? Wut ist möglich. Magie ist da. Göttliche nähe spürbar. Handelt der Eine? Oder ist er gefangen? Schwärze entsetzter Schrei (Todesschrei?) wer schickte Traum den wir erlebt haben? Schläfer hinter der Tür oder eine Frau? „Nehmt sie heraus“ Ist die Stimme im Traum, die Stimme des Erzbischofs Lazarus? Wenn der Schläfer vom Einen gebannt wurde und die Krone das Siegel ist, warum verletzt das Siegel seine Engel? Ist der Schläfer = Alles Böse? Gang wurde kürzlich benutzt. Kirchenleute sind die einzigen in der Nähe. Ist der Sakophag das Siegel? Ist das Siegel = das Gefühl alles ist gut wie es ist? Ist die Osttür die Tür aus dem Traum? Raus finden: Was ist hinter Osttür. Sarkophag noch voller Gefühl? Kristalle bezaubern. ===== Tagebuchauszug von Bruder Derion (5) ===== Sind wir denn überall nur von Lügen und Irrbildern umgeben? Nachdem wir den schwarzen Turm erreichten, das sagenumwobenen Tha’Anuiel betraten, bin ich weder mir noch der Welt, wie ich sie kannte, sicher. Nichts ist mehr, wie es mir zu Beginn der Reise so sicher schien. Statt Antworten fanden wir neue Rätsel, neue Geheimnisse und Hinweise auf uralte Lügen. Oh, Herr, verlass mich nicht, den allein die Gewissheit deines Seins ist mir jetzt noch Halt. Ich weiß kaum noch, wie viele Tage wir durch diesen Gang nach Norden gewandert sind, es werden so an die 12 gewesen sein, doch am Ende der mehr als 300 Meilen erwartet uns ein weiteres Tor. Irgendwie zögern wir alle, hindurchzuschreiten. Was erwartet uns dahinter? Ewige Kälte? Der Eine? Der Schläfer oder andere Diener der dunklen Seite? Neues Wissen? Irgendwie kommen wir ins Sprechen und stellen uns vor allem Fragen über die Natur der Engel. Wo kommen sie her? Können Sie sterben oder doch nur ihre sterbliche Hülle verlieren? Werden sie wiedergeboren, vielleicht sogar in der Gestalt von Menschen? Hat der Eine sie geschaffen? Ich kann nur wenige der Fragen wirklich beantworten, steht doch in den heiligen Schriften selbst nur wenig über sie. Natürlich: Es gibt ganze Bücher mit Spekulationen, aber in Raverra sah ich meine Aufgabe eher darin, meine heilerischen Fähigkeiten und Kenntnisse zu vertiefen. Ich erinnere mich aus meinen Studien, dass Tha’Anuiel in etwa ‚Stadt oder Ort über den Wolken’ bedeuten soll. Immer noch zögern wir. Noralee erschafft mit ihrer zurückgekehrten Magie aus dem Nichts eine beschlagene Kristallkugel, in die sie geradezu hineinstarrt, um etwas über die Schlüssel zu erfahren. Dann legt sie sie hastig auf den Boden, von dort aus hören wir ein Geräusch wie von einer brechenden Eisfläche. Anschließend berichtet sie, dass sie nicht genau erkennen konnte, ob eine Magie auf den Schlüsseln liegt. Aber sie konnte eine Art Kraft erkennen, die schwächer wird. Was immer das auch zu bedeuten hat. Immer noch stehen wir vor dem Tor, zögern. Noralee spricht mir tatsächlich aus dem Herzen, als sie äußert, wie dankbar sie ist, dass die wir diese Reise zusammen unternehmen. Und Osbornes Gesicht lässt erkennen, dass sein „Ansonsten wäre es mir zu langweilig“ wohl nur ein Teil der Wahrheit ist. Mit diesem Gefühl der Gemeinschaft öffnen wir schließlich das Tor und vor uns enthüllt sich ein großer, kreisrunder, gewaltiger, dunkler Raum aus rauem schwarzen Gestein, in dem unsere kleinen Lichter zu schrumpfen scheinen. Die Ader zu unseren Füßen läuft auf eine breite Schale zu, die auf einer halbhohen Säule ruht. In der Schale blicken wir auf jene silberne Flüssigkeit, doch anders als im Grünen Turm ruht sie, ist glatt wie ein Spiegel. Dafür gibt es auch hier zwei weitere Tore sowie zwei Säulen. Gerald ist es, der entdeckt, dass wir tatsächlich nicht gerade nach Norden sondern auch nach Osten gewandert sind und so an der Westseite angekommen sind. Alle spüren wir, dass hier kein Leben ist, ein Gefühl von Tod liegt in der Luft. Doch keiner von uns hat wohl vermutet, als wie richtig sich dieses Gefühl tatsächlich herausstellen sollte. Die Tore nach Süden uns Osten sind beide verschlossen, so dass uns nur der Weg nach oben durch eine der Säulen bleibt, dem Licht entgegen, wie ich hoffe… Ebenfalls wie im Grünen Turm entdecken wir eine bewegliche Wand mit dem gleichen Bild, allerdings ist sie offen. Hinter einem Durchgang stoßen wir auf einen Raum, in dem sich eine Treppe nach oben wendelt. Und Osborne entdeckt gegenüber eine meisterlich versteckte Tür, durch die wir in einen wohl lange unbenutzten kreisrunden Raum gelangen. Die Mitte des Raums wird von einer kreisrunden Tafel eingenommen, um die 14 - mit dunkelrotem Leder bezogene – Sitze angeordnet sind. Doch unser Blick wird sofort gefangen von der mächtigen Gestalt eines Engels, der sicher 10 Schritt hoch und 4 Schritt breit aus dem Boden emporwächst und einen gewaltigen blinden ovalen Spiegel vor sich hält. Es ist wohl Miriamel – möge sie uns immer zu sicheren Reisen verhelfen – die ihren Kopf an den Spiegel schmiegt und deren Flügel ihn umfassen. In der Mitte des Tischs ist das Zeichen des Einen eingearbeitet und irgendwie wird mir klar, dass es auch so etwas wie eine Karte sein könnte, in der der grüne und der schwarze Turm eingetragen ist. Falls das stimmt, müsste es noch einen Roten Turm im Osten der Mauer und einen weißen Turm im Süden der Mauer geben. Und die Mitte? Sie müsste dann inmitten der Mauer liegen, vielleicht am mittleren Tor. Ist dort der Ort, den wir alle gemeinsam gesehen haben? Sodann steigen wir weiter nach oben, entdecken entlang eines Ganges menschenleere Lagerräume und verschiedene Werkstätten, die jedoch alle ein Bild der Verwüstung bilden. In einer Schmiede finden wir zwei kleine Klumpen von dem Metall, aus dem auch Geralds Schwert geschmiedet wurde. Am Ende des Ganges fährt ein Schacht nach oben auf, an dessen Boden die Überreste eines Flaschenzugs liegen. Und wir entdecken drei Räume, wie man sie zur Forschung oder zur chirurgischen Heilung benötigt, ebenfalls ein Bild des Chaos, und dahinter wohl an die 30 Kerkerzellen, von deren stabilen Türen 11 aussehen, als ob sie von innen zerbrochen worden seien. Was hat man hier nur gefangen gehalten? Noralee und Osborne vermuten, dass es Engel gewesen sein könnten, doch in mir stemmt sich alles gegen diesen doch allzu ketzerischen Gedanken. Was bin ich für ein Narr. Ein Stockwerk weiter aufwärts entdecken wir eine Reihe von Räumen, die mich an meine Wohnzelle im Kloster zu Loringen erinnern. Die Kleidung, die wir finden, ist recht neu gefertigt, wie für Mönche oder Kirchenkrieger gemacht, auch wenn der Schnitt mich an das Habit des alten Bruder Senerin aus meinen ersten Novizentage erinnert. Auch hier ist alles zerstört, wir finden nur einen Siegelring, den wir an uns nehmen. Er zeigt das Zeichen der Kirche, seinen Träger können wir wohl nur in Raverra ermitteln, da es kein persönliches sondern eins jener Amtssiegel ist. Wiederum ein Stockwerk höher schlägt uns ein grässlicher beginnender Verwesungsgeruch entgegen. Wer kann es Noralee verdenken, dass sie zurückschreckt? Mir ist der Geruch aus den Lazaretten bekannt und wo Tote sind, können auch noch Lebende sein, die meiner Hilfe bedürfen. Der Gang wurde durch ein schweres Tor versperrt, doch auch dieses Tor wurde mit Gewalt gesprengt, auch der Riegel auf der anderen Seite ist zerborsten. Dahinter finden wir die ersten Leichen, Männer und Frauen in Gewändern der Kirche, die mit aufgerissenen Brustkörben im Gang liegen. Soweit ich erkennen kann, hat etwas ihnen die Herzen herausgerissen, ihr Blut ist überall, auf Boden, Decke und Wänden. Das gleiche Bild der Verwüstung bietet sich links in einem Raum, der anscheinend Kampfübungen gedient hat und auch rechterhand in etwas, was mal eine Bibliothek gewesen sein mag. Nur am Rande nehme ich wahr, dass Gerald sich um Noralee kümmert. Die Verwüstung und der Schrecken übersteigt alles, was ich in meinen finstersten Albträumen jemals schauen musste. Was – um des Einen Willen – ist hier passiert? Der Heiler in mir ist sich bewusst, dass ich an der Schwelle zu einem Schock stehe, tatsächlich nehme ich nur am Rande wahr, dass Gerald mich zu der Gestalt einer älteren Frau ruft, die über einem Lesepult zusammengesunken ist. Auch ihr hat man das Herz herausgerissen. Fast abwesend nehme ich ein blutbeschmiertes Buch an mich, nur froh, mich an irgend etwas festhalten zu können, als plötzlich von weiter oben mit klarer Stimme eine Choralmelodie ertönt wie ein Lichtstrahl in der Finsternis, wie ein Ruf der Heimat. Wie in Trance folge ich diesem Ruf, passiere ein weiteres geborstenes Tor und steige mit den anderen eine Rampe empor, an deren Ende ein gewaltiges Tor weit geöffnet steht. Draußen werde ich gewahr, dass wir uns anscheinend in einem Krater befinden, von oben wehen einige Schneeflocken herab, die auf dem schwarzen steinernen Boden und den sorgsam angelegten Beeten und Gärten rasch schmelzen. Über uns erhebt sich etwa 20 Schritt ein schwarzer runde Sockel, an dessen Seiten zwei Treppen emporführen, denen wir folgen. Oben erhebt sich auf einem Sockel und aus weißem Marmor gefertigt doppeltmannshoch die Gestalt eines aufrechen Engels mit gesenktem Kopf, der vor sich senkrecht einen Bidenhänder stehen hat, auf dessen Knauf seine Hände verschränkt sind. Seine Augen geschlossen, das Gesicht leicht gen Boden geneigt, meine ich geradezu, ihn beten zu sehen. Und auf dem Sockel sitzt mit geschlossenen Augen und blutbefleckter Gewandung Ignatio. Kaum wird er uns gewahr, bricht er jene Hoffnung verheißende Melodie ab. „Ich habe erwartet, dass ihr wiederkommt“ lauten seine Worte und sein Tonfall verwandelt meine geringe Hoffnung zu Asche in meinem Mund, zumal er, der er doch ein Engel des Einen ist, kurz Überraschung zeigt, bevor seine Miene zu Stein erstarrt. „Ihr!? Gut, dann ihr. Wer will zuerst sterben?“. Langsam gehe ich auf ihn zu, bitte um eine Erklärung, versuche zu erklären, dass wir noch nie hier gewesen sind. Doch der Engel des Einen beachtet weder mich noch meinen langsam aus der Verzweiflung wachsenden Zorn. Vielmehr fixiert er Gerald zu, der sich aber – dem Einen sei Dank – zurückhält, besonnen ist. Nicht, dass es ihm viel genutzt hätte. Mit einem gewaltigen Satz springt Ignatio auf Gerald zu und fügt diesem eine klaffende Wunde zu, so dass dieser nach kurzem Kampf zu Boden sinkt, auch Osbornes wirbelnde Dolche vermögen hieran nichts zu ändern. Als Ignatio über Gerald steht, webt sich plötzlich ein leuchtendes Netz über meinen Gefährten und tatsächlich vermag dies den Engel zu einem Ende zu bewegen, dem Einen sei Dank. Stumm wendet er sich ab und verlässt uns, gefolgt von Osborne, während sich Noralee und ich uns um Gerald kümmern. Ich bin dankbar, dass ich zu tun habe: Die Wunde muss genäht werden und für die Toten muss eine Grabstatt geschaffen werden. Sie sind grässlich zugerichtet, wie von wilden Tieren, zumal aus einigen herausgerissenen Organe Fetzen fehlen. Irgendwann erscheint auch Osborne wieder und erzählt, dass er Ignatio auf dessen Weg aus dem Krater gefolgt sei. „Es steht geschrieben, das ihr zurückkehrt an den Ort“ ist das Engelswort, dass er mit sich bringt. Immer noch rieseln sanfte Schneeflocken herab, als wir auf die Idee kommen, einen Blick in die wenigen lesbaren Überreste des aufgefundenen Buches zu werfen, die Noralee anscheind alles ihrer Schriftkunst abverlangen. Was wir noch in den Aufzeichnungen der Maria Numales, wohl auch einer Dienerin des Einen, entziffern können, legt endgültig Flammen an die Welt, wie ich sie kenne. Es scheint, dass sich die Kirche jene Wesen, die wir trafen und von denen Calimar gehört hat, hier an diesem Ort durch eine rätselhafte Kunst geschaffen hat. Man hat vor etwa 22 Jahren damit begonnen und zu diesem Zweck 26 unschuldige Kinder geraubt, hierhin gebracht und zumindest bei der Hälfte mit Veränderungen begonnen. Doch etwas muss fehlgeschlagen sein, die ersten veränderten sich zu etwas… Grauenhaftem, das in jene Zellen gesperrt wurde, die wir aufgefunden haben. Anstatt von ihrem Tun abzulassen, wurden die Veränderungen vor 19 Jahren an den verbliebenen Kindern erneut begonnen, die sich dann tatsächlich zu engelsgleichen Gestalten wandelten. Ihnen wurde durch Menschen aus jenem Metall, das man hier im Turm aufgefunden hatte, Schwerter geschmiedet, mit Zeichen, die ein gewisser L. gesandt hatte. Könnte dies Bischof Lazarus gewesen sein? Vor etwa einem Jahr muss auch noch etwas anderes, Bedeutendes gefunden worden sein, das Maria Numales nur am Rande erwähnt. Vielleicht handelt es sich um jenen Ort, den wir alle in unserer Vision gesehen haben? Die erste Aufgabe der verwandelten Kinder– ich scheue mich, sie Engel zu nennen – ist es, Mitwisser der damaligen Kinderraube zum Schweigen zu bringen, das ist es wohl auch, was ich in Achtelsbach mit ansehen musste. Die Kirche, der auch ich angehöre, lässt Engel morden, um ihr Tun in Dunkelheit zu bewahren. Einen Teil jener Kinder hat man ausgesandt, um ein Heilmittel für P. – ich vermute, dass der Pontifex Helios und sein geheimnisvolles Gebrechen gemeint ist – zu finden. Aufzeichnungen über den Verbleib der anderen finden wir nicht. Und vor wenigen Tagen spürte man auch hier die Welle jener Macht, die durch die Öffnung des Tor geworfen wurde. Es scheint so, als ob sie jenen Kreaturen in den Kerkern die Macht gegeben hätte, sich aus ihrer Gefangenschaft zu befreien. Und nun? Wenn ich die Augen schließe und die Welt betrachte, sehe ich kaum noch etwas, das mir auch nur annähernd vertraut wäre. Oh, die Welt mag die gleiche Gestalt haben, aber sie ist ohne den Sinn, den sie noch vor Achtelsbach hatte, unbekannt, andersartig, fremd. Furchterregend. Tatsächlich lässt mich meine Furcht - wenn auch mit Worten - blind um mich schlagen, als wir überlegen, was wir nun beginnen sollen, gerade Noralee muss darunter leiden. Aber die Wunden, die Worte schlagen, sind nur unsichtbar und vielleicht schwerer zu heilen als jeder Schwerthieb… Immer noch schweben Schneeflocken auf den Kraterboden und gleiten sanft auf die Pflanzen, die dort unverdrossen rund um die Stadt der Engel gedeihen. Vielleicht ist jener Ort im weiten Norden ein guter Ort, um die Welt neu zu erkunden. Ihr einen neuen Sinn zu geben. Jedenfalls ist es der Ort, an dem ich stehe, ich kann meinen Weg nur von hier aus fortsetzen. Der Eine möge uns allen beistehen. ===== Tagebuchauszug von Gerald Fletcher (6) ===== Dunkelheit. Ein Gesicht. Ein Kind. David? Verwandlung. Ignatio! Kampf. Schwerthieb. Schmerz. Bruder! Dunkelheit. Ich werde wach. Nur ein Alptraum. Dieser aber verfolgt mich seit meinem Versagen bei der Engelsstatur und der Geschichte aus dem Buch der toten Kirchenfrau. Auch die Diskussionen um die Engelskrieger macht es mir nicht gerade einfacher. Ist Ignatio wirklich mein tot geglaubter Bruder? Wenn ja, habe ich die Möglichkeit, ihn zurück zu holen? In der Verfassung, wie vor einem halben Monat, wohl kaum. Meine Schulter pochte wie wild und ich konnte sie kaum bewegen. Nur gut, dass Derion da war, sonst hätte ich wohl den Löffel abgegeben. Ich lag unter einem provisorischen Zelt auf dem Marmorplatz bei der Engelsstatur in diesem verfluchten Turm und wartete auf den Tag, wo Derion nicht versuchte, sich auf mich zu setzen, wenn ich aufstehen wollte. Während ich da so rum lag, hatten die anderen, allen voran Osborn (wer auch sonst?) angefangen, alles noch mal gründlich zu durchsuchen. Viel Neues war nicht dabei herum gekommen. Osborn fand (und behielt es auch gleich) zwei Dolche aus dem unbekannten Metall und auch vier Hufeisen aus dem solchen. Zudem wies er auf den „Fußabdruck“ hin, welcher in der Blutlache des Pferdes abgebildet war. Ähnelte einer Kralle von einem Vogel? Noralee verglich erstmal das Hufeisen mit dem Abdruck von Achtelsbach. Sie stimmten überein. Noralee fand viele Exemplare von der heiligen Schrift, auch ein sehr wertvolles, welches hastig versteckt wurde. Ansonsten eine Chronik und ein Ausbildungsbuch. Derion fiel auf, dass die Toten alle um die vierzig Jahre waren, also seit dem Beginn des Experimentes hier lebten. Wir kamen nicht weiter und ich kam nicht von meinem Bett runter (Mann, ist der schwer!). Gegen Abend beratschlagten wir über das weitere Vorgehen. Wie immer, kamen wir nicht zu einer einhelligen Meinung. Osborn wollte zurück zu Calimar, Noralee wollte nach Winterfell zu Meister Lorenz und Derion wollte nach Ravenna. Na, eigentlich wollte er eher wissen, ob wir gesucht wurden. Diese Diskussion wurde nur kurz von einer anderen unterbrochen, und zwar, wer wohl dieser L. sein könnte. Erzbischof Lazarus, Erzbischöfin Lorena oder Erzbischof Leonard? Keine Ahnung. War mir aber auch egal, da ich meinen eigenen Gedanken nachging. Ich schaltete mich erst wieder ein, als beratschlagt wurde, was wir tun, wenn wir wüssten wer L. sei. Auch hier keine Einigung. Zum wiederholten Male sprach Noralee Osborn auf sein Verhältnis zu Calimar an. Aber wieder wurde sie abgewiesen. Noralee und Derion machten daraufhin eine Sparziergang zum Vulkanrand. Osborn sollte auf mich acht geben. War gar nicht nötig. Derion hatte mir vorsichtshalber was in den Tee getan. Ich trat für ein paar Stunden weg. Als sie zurückkehrten, erzählten sie von der Landschaft. Um den Vulkan herum ist es sehr warm, fast subtropisch. Aber in kaum 1,5 km vom Fuß des Berges entfernt sei nur noch Schnee zu sehen. Zudem hatten sie Pferdespuren entdeckt. War es Ignatios Pferd? Vor dem Schlafen machten Derion und ich noch ein paar Witze über meine Bewegungsfähigkeit. Er ist ein guter Kerl, wenn auch manchmal etwas mütterlich. In der Nacht wurde ich durch ein lautes Stöhnen wach. Derion saß aufrecht im Bett und eine Träne lief ihm die rechte Wange hinunter. Auch hatte er ein merkwürdiges Pochen in der linken Wange. Völlig aufgewühlt verließ er das Zelt in Richtung der Gärten. Ich schlief wieder ein und meine Alpträume begannen. An die ersten konnte ich mich nicht wirklich erinnern, wohl auch, weil Derion mir immer die Hand auf die Stirn legte. Danach war ich immer ruhiger. Erst später bekamen sie mehr an Deutlichkeit. Da erkannte ich es auch, es war immer ein und derselbe. Der nächste Tag verlief erst ganz ruhig. Keiner machte was wirklich Sinnvolles. Ich begann weiter über Ignatio/David nachzudenken. Wo war er? Kann er noch zurück? Es half nichts, ich musste was unternehmen. Aber wie und was? Plötzlich, es war früher Nachmittag, tauchte eine Gestalt am Kraterrand auf. Sie wurde anscheinend verfolgt, wirkte gehetzt, rannte wie der Teufel. Anscheinend war derjenige verwundet. Auf einmal einen lauten Schrei von sich gebend verlor er den Halt und stürzte den Hang herunter. Noralee, geistesgegenwärtig, schickte ihm einen Zauber entgegen, welcher ihn einhüllte und schützend zum Boden des Kraters beförderte. Sofort waren alle auf dem Weg zu ihm (ja, ich auch, nur etwas langsamer und schmerzverzerrt). Als ich die bemitleidenswerte Gestalt sah, wusste ich, dass er Soldat vom König des Nordens war. Seine Uniform war zerfetzt, seine Extremitäten blutig, seine Füße und Hände kaum mehr, als eine blutige Masse. Derion war als erster bei ihm und versuchte ihn zu beruhigen. Er stand unter Schock. Ich habe viele Schlachten und verwundete Männer und Frauen gesehen, aber diese Panik in seinen Augen machte sogar mir Angst. Er schrie nur immer wieder einen Satz: “Es kommt!!!!“ und zeigte dabei auf den Kraterrand. Der Kraterrand, keiner hatte wirklich darauf geachtet. Als wir hinschauten, sahen wir es. Aber was war es? Es trug einen dunklen Kapuzenmantel. Trotz guter Sicht konnte man aber nichts unter der Kapuze ausmachen. Die Gestalt war groß, hatte lange Hände, fast krallenähnlich. Es kam näher, bewegte sich zum Rand, schien zu schnüffeln und ließ einen markerschütternden Schrei erschallen. Osborn reagierte zuerst. Er nahm den Soldaten und rannte mit ihm Richtung Küche, gefolgt von Derion und Noralee. Da ich nicht so schnell konnte, bildete ich wohl die Nachhut. Das Wesen kam erneut näher an den Abstieg, wich zurück, schrie noch mal und verschwand. Als ich in die Küche kam, versuchte jeder auf seine Art mit dem gerade Gesehenen umzugehen. Noralee schrieb in ihr Tagebuch, Osborn legte den Soldaten ab und half Derion, welcher sich an die Erstversorgung des Soldaten begab. Ich setzte mich an die Wand, um meine Schulter zu schonen. Verfluchtes Pochen. Der arme Teufel musste mehrere Tage ohne Wasser und Nahrung und ab einer bestimmten Zeit auch ohne Stiefel ausgekommen sein. Er sah einfach erbärmlich aus. Dann packte er Derions Hand und erzählte uns von dem Grauen, was er erlebt hatte. Von seinen toten Kameraden ohne Herz in einem verlassenen Dorf nördlich der Mauer. Von diesen Wesen, welche sogar durch Türen greifen konnten. Wie er zusehen musste, wie seine Kameraden dahingemetzelt wurden und von seiner schrecklichen Flucht, immer in Sichtweite seines Verfolgers. Derion versuchte, ihn zu beruhigen, aber seine Worte kamen nicht durch. Dann fiel der Soldat in Ohnmacht. Derion teilte uns mit, dass er ihm nicht helfen könne, nur seine Schmerzen lindern. Osborn war sofort für die humane Art des Sterbens, was Derion natürlich ablehnte. Osborn wirkte verstört. Zum ersten Mal seit Begin unserer Reise zeigte er Angst. Er wollte so schnell wie möglich weg. Derion und Noralee hielten dagegen. Sie konnten den Soldaten nicht einfach zurück lassen. Mir war es eins, da ich sowieso noch nicht fähig war, zu reisen. Zudem hatte ich schon einen anderen Plan gefasst, dazu später. Noralee begann dann, die Lampen im Krater anzuzünden. Als es erneut zum Streit zwischen Osborn und Noralee kam, drehte er sich einfach um und ging zu unserem Lager und fing an zu packen. Er hatte Angst, wer konnte es ihm verdenken. Er wollte nur noch weg. Ich lag mittlerweile wieder in meinem Krankenbett, als Derion zu Osborn kam und mit ihm versuchte, in Ruhe zu reden. Es war ein so ruhiges Gespräch, das ich jedes Wort mit bekam. Osborne war voller Panik. Wenn ich ihn nicht besser kennen würde, müsste ich behaupten, dass er kurz vorm Durchdrehen war. Das Wesen hatte ihm mehr zugesetzt als erwartet. Er war sogar bereit, mich und den Soldaten hier zulassen, nur, um schnell weg zu kommen. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Derion hielt dagegen. Wieder mal erwies er sich als tapferer, als man vermuten sollte. Es wurde sich nun darauf geeinigt, dass wir uns in die Küche zurückziehen, das Tor zum Krater verbarrikadieren und, sobald der Soldat gestorben war, uns auf den Weg machten. Derion vermutete, das ich bis dahin so weit wäre. Als ich in die Küche kam, sang Noralee dem Soldaten ein Lied zur Beruhigung. Ich bewunderte sie für ihr Mitgefühl und ihre innere Stärke. Die Angst in dem Raum war spürbar. Keiner machte wohl richtig ein Auge zu. Alptraum! Die Nacht blieb ruhig. Gegen Mittag des nächsten Tages verstarb der Soldat. Derion sprach den Segen für ihn, ich machte eine Ehrenbezeichnung in Ermanglung einer Ehrengarde, welche ihm zweifellos zugestanden hätte. Tapferer Kerl, für Nichts geopfert. Nun kamen wir zu Osborns sehnlichstem Wunsch, die Flucht. Es wurde beschlossen, dass wir das Tor zum Krater offen ließen, falls jemand hierhin zurückkehren würde. Ignatio zum Beispiel oder aber auch die anderen „Engel“. Dafür wollten wir dann das Tor zum Gang blockieren. Als ich so vor dem Tor stand und der Riegel entfernt war, konnte ich nicht gehen. Hinter diesem Tor war die einzige Spur zu meiner Vergangenheit. Der wahrscheinlich letzte Blutsverwandte, den ich noch hatte. Ich wollte in die Wildnis, ich wollte David finden. Noralee und Derion merkten, was ich wohl vorhatte. Noralee verstand, gab aber zu bedenken, dass ich nicht wüsste, wo er sei. Sie machte den Vorschlag, ihm eine Nachricht zu hinterlassen. Sie griff zu Tinte, Feder und Papier und schrieb meine folgenden Worte auf: „An denjenigen, den man Ignatio nennt! Mein Name ist Gerald Fletcher. Wir fochten an der Engelsstatur und du strecktest mich nieder. Nein, ich sehne mich nicht nach Rache, nur nach einer Möglichkeit, mit dir zu reden. Wir haben in Eurer Stadt Beweise gefunden, dass ihr alle betrogen wurdet und dass wir beide speziell vom gleichen Blute sein könnten. Du bist wahrscheinlich mein Bruder, welcher vor ca. 20 Jahre angeblich bei einem Überfall auf das Gehöft unserer Eltern ums Leben kam. Erinnerst du dich eventuell an das Gehöft, an unsere älteren Schwestern, Lara und Donna, an unsere Kindheit oder an Vater und Mutter? Vielleicht hörst du in deinen Träumen einen Namen, den du nicht wirklich zuordnen kannst, aber du weißt, dass er mit dir zu tun hat: DAVID FLETCHER Das bist wahrscheinlich du, bevor man dich weggerissen und dich deiner Kindheit und Vergangenheit beraubt hatte. Sollte nichts davon dir bekannt vorkommen, dann werden wir bei unserer nächsten Begegnung erneut die Klingen kreuzen. Solltest du aber nur einen Hauch von Erinnerung in dir haben, dann gib mir die Chance, mit dir zu reden und dich zu überzeugen. Dein Bruder Gerald“ Die Nachricht war geschrieben und wir überlegten nun, wo wir sie aufbewahren sollten. Ich wollte sie ans Tor nageln. Dort konnte sie aber jeder finden, gab Noralee zu bedenken. Sie war es auch, welche nun für mich ein großes Opfer brachte. Die heilige Schrift, welche, lt. Noralee, sehr wertvoll war, hatte eine Inschrift auf den ersten Seiten: „Für meine Engel“. Noralee hatte diese durch Zufall entdeckt, da die Seiten verklebt waren. Dieses Buch müsste einen sehr hohen Wert für die „Engel“ haben und so beschlossen wir, die Nachricht in das Buch zu legen und in das Versteck zurück zu bringen. Noralee klammerte bis zum Schluss, gab aber dann nach. Ich war ihr so sehr dankbar, dass mir eine Träne die Wange runter lief. Zum Glück bekam das keiner mit. Bevor wir nun endgültig diesem Ort den Rücken kehrten, versuchte Noralee den Engelsspiegel mit Magie zu erforschen. Leider klappte es nicht wirklich. Sie konnte nur erkennen, dass der Spiegel eine Funktion hatte, aber diese irgendwie nicht verfügbar war. Osborn hatte in der Zwischenzeit angefangen, ein Stück aus der erstarrten, silbrigen Flüssigkeit zu schneiden. Wir traten gerade in die Kammer, als das Stück an seinem Dolch wieder flüssig wurde und zurück in den Brunnen lief. Noralee bat Osborn, es erneut raus zu schneiden, es aber dann in ihren Becher fließen zu lassen. Osborn tat, wie ihm geheißen. Die Flüssigkeit im Becher bewegte sich im Kreis. Anscheinend versuchte es zurück in den Brunnen zu kommen. Sie schüttete es in ein anderes Gefäß und versiegelte dieses. Dann begann der Rückweg. Die zwölf Tage im Tunnel verliefen weitgehend ereignislos. Niemand kümmerte sich wirklich um den anderen, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Meine Schulter fühlte sich immer besser an und Derion sorgte sich gut um meine Genesung. Wir waren alle fertig. Osborn wirkte ruhiger als sonst, Noralee untersuchte die Flüssigkeit und schrieb in ihr Tagebuch, Derion philosophierte vor sich hin und ich versuchte meine Gefühlslage unter Kontrolle zu bringen. Der wiederkehrende Alptraum. Nicht zu wissen, ob es richtig war, Ignatio nicht zu folgen. Die aufgestaute Trauer und Schuldgefühle wegen meiner Familie. Aber wie gesagt, es kümmerte keinen und so blieb jeder mehr oder weniger für sich. Dann waren wir wieder beim grünen Turm angelangt. Nur, das Gemäuer war immer noch grün. Das Licht war verloschen. Sofort eilten wir zum Sarkophag. Er war offen. In ihm eine Mulde, ein Art Wanne. Das quecksilbrige Zeug verlief wie in Adern darin und das grüne Leuchten war auch hier nicht mehr vorhanden. Keine Spuren oder sonstige Anzeichen von Fremdeinwirkung. Derion berührt den Rand des Sarkophages. „Ich stehe in einem kalten Kellergewölbe, erleuchtet von Fackeln. Ich sehe eine Person in den Gewändern eines Erzbischofs. Schritte. Lazarus! dreht sich um, schaut zum Gang. Drei Engel mit einer Schatulle treten ein und knien nieder. Es sind die Engel Rhianon, dessen rechte Hand mit einem blutdurchwirkten Tuch umwickelt ist, Julienne und Loysanne. Sie öffnen die Schatulle. In ihr eine Krone. Lazarus lächelt. „Das habt ihr wirklich gut gemacht“ dringt es an mein Ohr. Ignatio tritt ein. Er ist verletzt. Er berichtet von dem Vorfall auf dem Turm. Über die Geschehnisse in der Heimstatt, vor unserer Ankunft, scheint Lazarus Bescheid zu wissen. Ignatio beschreibt uns. Lazarus nennt von jedem den Namen. Eine Frage „Du hast sie getötet?“ „Nein“ antwortet Ignatio. Ein Schlag. Ignatio taumelt, ist überrascht, unsicher und … wütend? „Verzeiht, Herr“ ist seine Erwiderung. „Nun, es ist wie es ist“ sind Lazarus Worte, wobei er die Krone an sich nimmt. „Ich entscheide später, was zu tun ist. Ich rufe euch dann“. Mit diesen Worten tritt er in die Dunkelheit.“ Wir standen immer noch am Sarkophag. Derion wirkte verwirrt. Ich fühlte Wut in mir. Derion setzte gerade zur Erklärung der Vision an, als wir ihm erklärten, dass wir das Gleiche gesehen hatten. Er erzählte uns, dass diese Vision intensiver war, als alles Vorherige. Wir begannen, die Vision zu diskutieren. Fest stand, dass wohl Lazarus der geheimnisvolle L. ist. Handelt er aber alleine oder in jemandes Auftrag? Derion meinte erkannt zu haben, dass das Gewölbe sich unter Raverra befinden müsste. Nach kurzem hin und her waren sich aber alle einig, das es Selbstmord wäre, einfach nach Raverra zu marschieren und sich da umzuschauen. Derion gab noch bekannt, dass er von jemand gefragt wurde, ob er die Bilder zu lassen wolle. Er denkt, dass der Eine persönlich das gewesen sein müsste. Es half alles nichts, wir mussten erstmal wieder ans Tageslicht. So begannen wir unseren Aufstieg aus dem grünen Turm heraus. Als wir in die Ebene mit den Kerkern kamen, sahen wir Leichen in den Zellen. Es waren die Wachen, welche wir vor einigen Wochen erledigt hatten. In der Wachstube fanden wir vier Uniformen. Osborn beschloss, sich seine Uniform überzuziehen. Ich tat es ihm gleich und nahm meine Unteroffizier-Uniform. Noralee und Derion nahmen jeweils eine der bereit liegenden Uniformen. Wir gingen weiter Richtung Ausgang. Dort angekommen, sahen wir, dass die Leiter angelehnt war und sich Licht in den Hütten befand. Es standen diverse Pferde an den Seiten und irgendjemand kam aus einer der Hütten. Er sah wie ein Wachsoldat aus, aber irgendetwas stimmte nicht an ihm. Noralee fiel es als erste auf. Der verhielt sich so, wie (Nein!!!!!! Bitte nicht!!!!) Beckerich es tun würde. Wir stiegen die Leiter runter ins Lager. Ein Hund bellte. Sofort kamen drei Männer in Kirchenuniformen aus der Hütte. Einer von denen gab uns einen Befehl: “Stramm gestanden und ab zum Essen fassen!“. Die Stimme gehörte Calimar. Wir folgten, etwas verdutzt, Calimar und den zwei anderen in die Hütte. Jetzt erst erkannte ich Felix und (Mist, doch keine Sinnestäuschung) Beckerich. In der Hütte befanden sich drei Betten und auf dem Tisch befanden sich Teller mit Suppe und Brot. Wir setzten uns und ich fing an, etwas zu essen. Calimar teilte uns mit, dass er im Norden gewesen war. Daraufhin erzählte Noralee unsere Geschichte von da an, seit wir ihm das letzte Mal gesehen hatten. Zuvor schickte er aber Felix und Beckerich raus. Als Noralee fertig war, wirkte Calimar sichtlich überrascht. Er gab an, dass sie das Lager übernommen hatten und sich um unsere Gefangenen gekümmert hatten. Felix hatte sich zuvor der berittenen Soldaten entledigt. Auch er habe die Welle gespürt und danach brach er sofort in den Norden auf. Aus Neugier, wie er angab. Er flog über die Mauer und auch er musste feststellen, dass das Kraftfeld verschwunden und die Mauer nicht mehr geschützt war. Im Norden sammelten sich die Stämme an einem für sie heiligen Ort. Dieser befindet sich ca. 500 - 600 Km nördlich von der Mauer. Anscheinend spüren sie eine Gefahr, welcher sie nur gemeinsam und vereint entgegen treten können. Felix und Beckerich hatten unterdessen im grünen Turm aufgeräumt. Niemanden sei irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen, aber es war auch niemand bis zum Sarkophag vorgedrungen. Noralee war die erste, die von uns wieder das Wort ergriff. Sie wollte wissen, was wir als nächstes tun sollten. Calimar wusste auch keinen Rat. Die Stämme vereinigten sich, die Armee der Kirche war jetzt, durch einen General, vollständig und er hatte auch keine Kunde von Meister Lorenz. Er gab Noralee Recht, dass Meister Lorenz eingeweiht werden musste. Plötzlich stand Osborn auf und verließ die Hütte. Alle schauten zu Calimar. Derion war der Erste, der fragte, ob Calimar Osborn von früher kannte. Er antwortete, mit seltsamer Betonung, dass er ihn leider nicht kannte. Wir beratschlagen erneut, was wir als Nächstes tun sollten. Osborn kam wieder rein und Calimar fing an, mit ihm zu reden. Ich musste dann auch mal raus. Als ich wieder eintrat, hatten Noralee und Osborn einen heftigen Streit. Noch bevor ich fragen konnte, sprang Osborn auf, ging auf Calimar zu und verpasste ihm einen rechten Haken. Calimar war entweder zu geschockt oder ließ es einfach zu, da er keine Anstalten einer Abwehr erkennen lies. Osborn stellte sich über ihn und sagte folgendes zu ihm: “Ich habe mir jeden Tag gewünscht, dir das von Mutter zu bestellen!“. Ich zog mein Schwert und hielt es an Osborns Kopf. Zeitgleich verlässt Noralee mit wütenden und verzweifelten Worten die Hütte. Als Osborn das Schwert bemerkt, droht er mir, es weg zu stecken (er hätte keine Chance gehabt, trotz seiner Schnelligkeit). Bevor ich zu einer Erwiderung ansetzen konnte, befahl mir Calimar streng, das Schwert weg zu stecken, es sei alles in Ordnung. Das war zu viel für mich. Sollten sie sich doch gegenseitig umbringen. Verwirrt, wütend und verzweifelt verließ ich die Hütte. Ich ging zu den Pferden, wollte nur weg von hier. Ich hatte genug von den Fragen und den Vermutungen. Ich wollte irgendwas tun. Ich wollte… Ich hatte keine Ahnung, was ich wollte. Ich war zu durcheinander. In meinen Augenwinkeln sah ich, das Noralee an der Hütte stand, am weinen, von Felix tröstend in den Armen gehalten. In diesem Moment ihrer größten Verwundbarkeit fiel mir mein Versprechen ihr gegenüber wieder ein, sie zu beschützen und ihr überall hin zu folgen. Ich hatte ihr mein Schwert angeboten, welches sie dankbar angenommen hatte. In all diesen Verwirrungen der letzten Wochen war sie meine einzige Konstante, meine Freundin, meine einzige Familie. Ich legte mich ans Lagerfeuer. Das erste Mal, seit dem schwarzen Turm, schlief ich mit dem beruhigenden Gedanken ein, dass ich wieder wusste, was meine Aufgabe war. Mein Alptraum begann von vorn! ===== Tagebuchauszug von Bruder Derion (7) ===== Nachdem der letzte meiner Gefährten die Hütte verlassen hat, bleiben Kalimar und ich im Halbdunkel zurück. Kalimar wirkt bitter und voller Selbstmitleid („Wie konnte das dem Großen Kalimar nur passieren“) und ich muss gestehen, dass mein Versuch, ihm ein Beistand zu sein, ein wenig halbherzig erfolgte. Ich hoffe, der Eine schenkt ihm die Einsicht, dass er trotz all seiner zauberischen Künste ein Mensch ist wie wir alle. Wenn ich an all die Hexer denke, die mir in der letzten Zeit begegnet sind, scheint es mir fast so, als ob die Magie diese Magier – Noralee einmal ausgenommen - zu dem Gedanken verleitet, allmächtig, allwissend und unfehlbar zu sein. Insofern ähneln sie wohl manchen Prälaten aus Raverra, denen ein wenig Demut ebenfalls wohl anstände. Und damit fühle ich – gerade wenn ich an Anton den Schlächter denke – eine Ahnung, warum die Regeln gegen die Hexerei so harsch ausfallen. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, sagt man wohl nicht ganz zu Unrecht. Mein Mitgefühl für Kalimar droht weiter zu schwinden, als er seine Wut auf die Regeln der Kirche lenkt, denen er anscheinend die Schuld an seinem Versagen geben möchte. Und so recht will ich ihm angesichts der Möglichkeiten, die ich bei ihm und den anderen gesehen habe, kaum glauben, dass die Hexer sich nicht um jemanden wie Anton zu kümmern vermögen. Andererseits: Was verstehe ich schon von Magie. Und zumindest ist es mir gelungen, ihn aus seiner Resignation herauszureißen, was allgemein bei Schwermut als ein gutes Zeichen gilt. Draußen vor der Hütte sehe ich, dass jeder von uns seine eigene Art hat, den Erlebnissen der letzten Wochen zu begegnen. Gerald schläft am Lagerfeuer. Osborne starrt – nachdem er etliche Flaschen Branntwein um sich versammelt hat - in ein abseits gelegenes Feuer. Noralee hat sich mit Felix in eine Hütte zurückgezogen. Und Beckerich schläft unruhig in einer der Hütten, zumindest ihm kann ich ein bisschen von der Ruhe geben, die mir selbst fehlt. Und während ich langsam in den Schlaf hinübergleite, fallen weiter Schneeflocken hinab, bis in meinen Traum, der unversehens zu einer Vision wird, die deutlicher ist als das meiste, was ich bislang schauen durfte: Wieder schaue ich durch Seine Augen, doch anders als zuvor sehe eine Landschaft bei Nacht. Um mich herum tanzen Schneeflocken und ich drehe mich mit um mich selbst, freudig und unschuldig wie ein kleines Kind, bis ich fröhlich lachend in den Schnee falle. Dann gleite ich wieder hinüber in das Reich der Träume, aus dem ich jäh durch lauten Lärm von draußen herausgerissen werde. Es ist Osborne, der – inzwischen sternhagelvoll – es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht, mindestens eine der Hütten niederzureißen. Schön, auch hier ist die dumpfe Verzweiflung offensichtlich hell lodernder Wut gewichen. Sobald diese sich ausgetobt hat, ist Osborne vielleicht so weit, dass er einen Neubeginn wagen kann. Während Gerald und ich in die Nähe eilen, sehe ich Kalimar, der sich das Geschehen von seiner Hütte aus mit starrer Miene anschaut. Wenig später kommt auch Noralee hinzu und fordert recht vehement unser Eingreifen. Wieder spüre ich einen gewissen Ärger in mir aufsteigen, es ist deutlich zu früh. Zumal Noralee ein wenig beleidigt ist, dass wir nicht sofort handeln, dies scheint wirklich etwas zu sein, dass mit der magischen Macht einhergeht. Aber Macht für sich ist weder Verstehen noch Können. Trotzdem ist meine Zurechtweisung im Nachhinein wohl zu harsch. Nachdem Osborne sich ausgetobt hat, deckt Kalimar ihn mit seinem Mantel zu, streicht ihm über das Haar und… geht wieder in seine Hütte. So bleibt es Gerald und mir überlassen, Osborne zu einer wärmenden Hütte zu geleiten, wobei er sich recht störrisch aufführt und immer wieder laut nach Noralee ruft, die auch bald darauf wieder erscheint, ihn wie von unsichtbaren Zauberhänden in ihre Hütte tragen lässt und die Tür hinter sich schließt. Immerhin bleibt der Rest der Nacht ruhig, so dass Gerald und ich nach einem kurzen Gespräch am Feuer uns wieder zur Ruhe begeben, während Felix weiter Wache hält, halbnackt und anscheinend durch Magie vor der Kälte gefeit. Ich bin gespannt, was der Morgen bringen mag.

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